Pegida und Anti-Pegida greifen zu kurz
23. Mrz 2015
Pegida und Anti-Pegida greifen zu kurz
In dem Aufruf zur Demonstration »Trier für Alle« am 26.01.2015, die sich von Pegida und anderen „Gidas“ absetzten will, heißt es: „Es gibt viele gute Gründe auf die Straße zu gehen und laut-stark zu protestieren: Steigende Mieten, stagnierende Löhne und immer stärkerer Druck in Arbeit, Ausbildung und Ämtern. Menschen weltweit erleiden Unterdrückung, Diskriminierung, Krieg, Terror, Verfolgung, Ausbeutung, Armut, Hunger, fortschreitende Umweltzerstörung… viele sind gezwungen zu fliehen. Gegen all das müssen wir gemeinsam aufstehen und kämpfen!“
Damit ist klar formuliert, dass bei einem Absetzen von der Pegida-Bewegung nicht darum gehen kann, den Protest gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse zu diskreditieren. Entschei-dend ist vielmehr, in welchen Horizont der berechtigte Protest gesetzt wird. Offensichtlich ist er in Dresden und entsprechend an anderen Orten mit rechtsextremen und fremdenfeindlichen Haltungen unterlegt. Nicht zuletzt wird das schon in der Selbstbezeichnung dieser Bewegung dokumentiert: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida).
Hier wird auf die diffuse Vorstellung vom „Abendland“ zurückgegriffen, die im vorigen Jahr-hundert durch Oswald Spenglers Buch „Der Untergang des Abendlandes“ eine Prägung erhielt, dass dieser hohe Wert bedroht sei. In diesem Zusammenhang soll nicht verschwiegen werden, dass Martin Heidegger Adolf Hitler als die Person einschätzt, „der allein zuzutrauen ist, das Abendland zu retten“(Marion Heinz). Das Thema Abendland wurde nach dem 2. Weltkrieg vor allem in konservativen Kreisen gepflegt und mit dem Antikommunismus verbunden. Florian Finkbeiner führt aus: „Die Rückbesinnung auf eine positiv konnotierte Tradition des Abend-landes dient gerade in Zeiten einer unbestimmten, aber intensiv wahr-genommenen Krise als Antwort auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels für die individuelle und kollektive Identität. Es ist dabei unerheblich, dass der einer Krise gegenüber gestellte vermeint-liche historische Idealzustand weitgehend unkonkret bleibt, fungiert die Bezugnahme auf das Abendland doch vielmehr schlicht als Chiffre zur Konstruktion kultureller Überlegenheitsgefühle und damit der Erneuerung kollektiver Identität.“
Gleichzeitig macht die Pegida-Bewegung deutlich, wo sie die Ursachen für die Übel sieht. Diese Benennung heißt aber nichts anderes, als den Islam als Sündenbock zu deklarieren. Das Muster ist uns aus der deutschen aber auch europäischen Vergangenheit allzu bekannt. Im TV vom 16.02. erklärt Dorothee Krings die Herkunft des Begriffs „Sündenbock“ aus der Bibel und seine Bedeutung für den gesellschaftlichen Frieden. Der „Sündenbock – Mechanismus“ „beschert Gruppen nach innen Eintracht und Frieden.“ „Allerdings hat das seinen Preis: Denn der Sündenbock ist ja unschuldig, er wird allein deswegen zum Opfer, weil eine Gemeinschaft ihn für böse erklärt. Ein Sündenbock könnte demnach kein Sündenbock mehr sein, wenn Menschen sich seine Unschuld bewusst machen würden. Der Mechanismus verliert also seine Wirkung, sobald man ihn durchschaut. Doch die Idee vom Sündenbock ist verführerisch. Denn sie entlastet, sie macht die undurchsichtige Wirklichkeit scheinbar überschaubar, gibt schlichte Erklärungen für Zustände, die Ohnmachtsgefühle auslösen.“
Die prekären gesellschaftlichen Verhältnisse, Ängste und Bedrohungen werden einem „Feind“ angehängt. Mit dem Erstellen eines Feindbildes kann dann Wut und Aggression auf ihn gelenkt werden. Herbert Schui (Januar 2014) beschreibt das so: „Tatsächlich geht es nicht einfach gegen den Islam. Er ist der Ersatz für den eigentlichen, den objektiven Gegner. Wir haben es hier, so ist zu vermuten, mit einer Verschiebung, auch Aggressionsverschiebung zu tun. Das eigentliche Motiv für die Demonstrationen ist die Vorstellung einer allgemeinen Bedrohung, nämlich durch Arbeitslosigkeit, niedrige Renten, Armut allgemein. Einen Anhaltspunkt hierfür liefert eine empirische Untersuchung aus dem Jahr 2011. Feindlich eingestellt gegenüber dem Islam sind zum einen 26 Prozent der Bevölkerung, die eher arm sind, auch wenn sie je zur Hälfte eine gute oder schlechte Ausbildung haben. In der Zukunft befürchten sie einen weiteren Abstieg. Zum anderen gibt es eine weitere, kleinere Gruppe, die sorgenlos lebt. Ihre Einstellung erklärt die Studie mit verhärteter Selbstgerechtigkeit als wesentlichem Motiv für den „Extremismus der Mitte". Allen dürfte gemeinsam sein, dass sie fürchten, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein.“
Die Furcht vor dem Abstieg ist treibendes Motiv bei den Anhängern von Pegida. Damit sind sie auch verführbar für Parolen wie „Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche“(NPD). „Wer die Arbeitslosigkeit(die Erfolgsmeldungen zur Wirtschaftsentwicklung verschweigen allzu häufig, dass selbst nach amtlichen Statistiken ca. 3 Millionen in Deutschland gezählt werden) nicht erklären kann …. und wer obendrein Angst davor hat, sich mit den Unternehmen anzulegen, der konzentriert sich auf etwas Nächstliegendes, irgendwie Plausiblen, wenngleich Falsches. Da nehmen die Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze weg und machen sich ein schönes Leben zu Lasten der Sozialkassen. Und da sie anders als die Unternehmen keine Macht haben, fällt es leichter, gegen sie zu agitieren.“ (Schui) In der Sprache des CSU-Vorsitzenden heißt das in der Rede zum „Politischen Aschermittwoch“, dass Deutschland nicht das Sozialamt des Balkans sei.
Allerdings ist festzuhalten, wenn hier die Unternehmen als der eigentliche Gegner hingestellt werden, wird eher eine gewerkschaftliche Vorstellung gewählt. Die Unternehmen sind oft Profiteure, aber immer Teil des kapitalistischen Systems. Wer sich etwa mit den Vorgängen um die Freihandelsabkommen CETA und TTIP beschäftigt, kann erkennen, wie viele Akteure (Lobbyisten, Politiker usw.) das System stützen. Gerade weil sie im System auch gefangen sind, ist es so gut wie unmöglich, einen Adressaten zu benennen, der „objektiver Gegner“ ist. Dennoch wäre diesen Akteuren vorzuführen, welches Spiel sie betreiben. Das wäre aber eben eine so große Herausforderung, dass man sich lieber Ersatzobjekt sucht. Götz Eisenberg (in „Überfremdung“ - Zur Sozialpsychologie eines Gefühls) verdeutlicht das so: „Das „Fremde“, von dem die Menschen sich bedroht fühlen, ist die Teufelsmühle des Kapitals selbst, in der die einheimischen Industrien und tradierte Lebensformen zermahlen wurden. Da man aber gegen „kapitalistische Verhältnisse“ und undurchsichtige, anonyme finanzielle Abstraktionen nicht handgreiflich vorgehen kann, zieht man es vor, sich an „die Fremden“ zu halten.“
Man sollte sich durchaus fragen, warum diese Bewegung so chauvinistisch(Überhöhung der Eigengruppe mit Abwertung der Fremdgruppe) und so rassistisch ist. Chauvinistische und rassistische Stimmungen existieren schon lange in der deutschen Bevölkerung und scheinen auch fortzubestehen. Das haben zahlreiche Forschungsprojekte von Wilhelm Heitmeyer und seinen Kollegen und Kolleginnen bestätigt. Mit Pegida ist eine Struktur entstanden, die diese Einstellungen in Handlungen auf der Straße sichtbar machen (vgl. Kulturbüro Sachsen).
Götz Eisenberg geht der Frage nach, warum die Pegida - Bewegung besonders in den neuen Bundesländern Konjunktur hat. Er sieht folgende Hintergründe: „Der autoritär dressierte und „zur Sau gemachte“ Mensch trägt eine lebenslang wirksame Neigung davon, sich für die erlittenen eigenen Qualen an Sündenböcken schadlos zu halten. Dass also der Rechtsradika-lismus im Osten Deutschlands eine breitere Basis hat, hängt mit einer spezifischen kulturellen und sozialpsycho-logischen Ungleichzeitigkeit der ehemaligen DDR-Gesellschaft zusammen.“ Und“ Die Ostdeutschen wiesen das falsche Sozialisationsfundament für ein Leben unter kapitalistischen Markt- und Konkurrenzbedingungen auf. Aufgewachsen und sozialisiert in einer Gesellschaft des Mangels und mit klaren Rollenmustern und biographi-schen Vorgaben und Verläufen, gerieten sie nun in eine Gesellschaft, in der jeder selbst sehen muss, wo er bleibt, und in der Konsum über die soziale Integration entscheidet. „Sinn-entzug“ heißt auch, dass das Gelernte und lebensgeschichtlich Erworbene auf kein Lebens-gelände mehr so richtig passt, dass das, was einem zustößt und was aus der Zukunft auf einen zukommt, sich der eigenen Verarbeitungslogik nicht mehr fügt. „Sinnentzug“ ist eine Erfahrung, die Angst und Unsicherheit entbindet, mitunter flackert Panik auf. Jedenfalls hält der ans Ertragen offener und ambivalenter Situationen nicht gewöhnte Mensch so etwas nicht lange aus: Je nach Temperament und Prägung wird er wütend oder krank oder suizidal.“
Wenn Pegida eine „rückwärtsgewandte“ Bewegung ist, die wegen ihrer rassistischen und chauvinistischen Aspekte hohen sozialen Sprengstoff enthält, so greift eine bloße Zurück-weisung dennoch zu kurz. Das Bekenntnis zu einer „bunten“ Gesellschaft ist brüchig. Es verhindert nicht, dass die Ängste jederzeit instrumentalisiert werden können: „Sozialamt des Balkans“, „Asylantenflut“, „Schulden-Griechen“. Es verhindert auch nicht, dass die Ursachen für die Ängste wie Armut oder „Sinnentleerung weiter bestehen. Eigentlich geht es um die „Teufelsmühle des Kapitals“ selbst und darum, dass wir diesem Götzen dienen. Wenn gerufen wird „ wir sind das Volk“ ist da nicht nur eine Überhöhung des Selbst sondern auch der Ausdruck dafür, dass man sich von den Eliten verkauft fühlt. Damit ist aber auch ausgesprochen, dass zentrale Demonstrationsort zum Beispiel Davos oder Brüssel sein müssten und nicht Moscheen oder Flüchtlingsunterkünfte. Der eigentliche Gegner ist das gnadenlose und zerstörerische Regime des Kapitals. Zu dieser Wirtschaftsweise, die „ausschließt und tötet“, kann man mit Papst Franziskus (Evangelii gaudium) immer wieder nur nein sagen. Die Anknüpfungspunkte des Protestes sind dort, wo sich dieses Regime breit macht wie im Freihandel(TTIP) oder im Finanzregime.
Diskussionspapier des Vorstandes pax christi Bistum Trier vom 18.03.2015